Von den verschwundenen Wirtshäusern Kleinheubachs (Teil III): Das Gasthof "Zum Hirschen"

Vom Kasernengebäude zur stolzen Gastwirtschaft 

Kleinheubach. Auf 15 Gasthöfe und Cafes brachte es Kleinheubach in seiner gastronomischen Blütezeit. Viele von Ihnen sind gänzlich verschwunden. Vom „Hirschen“ – ursprünglich als repräsentativer fürstlicher Kasernenbau erstellt – steht immerhin noch das Gebäude.

An seine wechselvolle Geschichte erinnert die dritte Folge unserer Serie über die verschwundenen Gasthäuser Kleinheubachs. 

Zu einer lebendigen Dorfgemeinschaft gehörten in früheren Zeiten neben dem Rathaus, der Schule und Kirche besonders auch die Gasthöfe als Orte zur Pflege der Geselligkeit und lokaler Ereignisse. Doch diese Situation hat sich in den vergangenen Jahren in zahlreichen Gemeinden, so auch in Kleinheubach wesentlich verändert, dafür gibt es die verschiedensten Gründen. In loser Folge sollen in den nächsten Ausgaben mit einigen ehemals markantesten Kleinheubacher Gasthöfen wie der „Schwane“, „Zur Krone“, „Zum Hirschen“, der „Löwensteiner Hof“ und der „Löwen“ alte längst vergessene Namen vorgestellt und auch so manche Erinnerung und Begebenheit wach gehalten werden. Wesentliche Informationen konnten auch dem Buch „Zur Ortsgeschichte von Kleinheubach“ von Bernhard Holl entnommen werden.

Nach dem Bau der „Georgenburg“ entstand zum Schutz des Dorfes zwischen 1560 und 1600 auch das stattliche Gebäude des späteren Gasthaus „Zum Hirschen“ und das „Obere Tor“ als Abschluß der früheren Schlossgasse und heutigen Baugasse. Zunächst diente das repräsentative Gebäude als Fürstliches Kasernengebäude und soll über einen unterirdischen Gang direkt mit der Georgenburg verbunden gewesen sein. Die zurückgesetzte Bauweise mit dem großen Freigelände davor hatte einen besonderen Grund: Es war Exerzierplatz der Fürstlichen Soldaten und stellte auch als schnurgerade Verlängerung zum Schloß eine günstige Marschstrecke dar.

Auch wurde über viele Jahre die bevorzugte Lage des „Hirschen“ an der alten Reichsstraße und am Eingang zum Schloss genutzt um auf dem Platz davor Viehmärkte abzuhalten, von hier aus ist auch mit dem Ausbau der Hauptstraße 1790 begonnen worden. Kriegsgewinnler jener Zeit aus dem Raum Frankfurt, darunter auch ein gewisser Nef, der zum eigentlichen Schöpfer des „Hirschen“ wurde, kamen nach Kleinheubach um gute Geschäfte zu machen. Das Gasthaus „Hirschen“ kann auf eine lange und wechselvolle Geschichte mit zahlreichen Inhabern zurückblicken. Als erster Hirschwirt ist in den Bürgermeisterrechnungen von 1651ein Hans Kuhn mit einer Ohmgelzahlung genannt. Die Ortsgeschichte von Hans Wagner nennt dann Hans Kruschwitz (oder Gruschwitz) der das Gasthaus für 275 Gulden erworben hatte.

Für die stattliche Summe von 800 Gulden kaufte 1697 der „Holländer“ Caspar Gehrlich den „Hirschen“ richtete eine Brauerei ein und betrieb beides bis 1708. Nach dieser Zeit folgten von 1709 bis 1734 als Eigentümer oder Pächter Johann Georg Kappes, Johann Georg Aroldt, der Bierbrauer Christoph Heinrich Portscher und dessen Sohn Johann Philipp Portscher von 1768 bis 1788 als Wirte. Das Eigentums- und Pächterkarusell drehte sich munter weiter und so waren von 1788 bis 1901 insgesamt 15 Eigentümer und Wirte des „Hirschen“ bekannt. Darunter von 1837 bis 1846 war auch ein Lazarus Straßburger Besitzer des „Hirschen“.Als Jude durfte er jedoch keine Gastwirtschaft betreiben und konnte keine Konzession erhalten. Deshalb setzte Straßburger bis zum Verkauf 1846 Josef Baumann und Andreas Gerner als Pächter ein.

hirschenNach der Überlieferung soll gar der große Komponist und Musiker jener Zeit, Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) auf der Durchreise von Salzburg nach Frankfurt um das Jahr 1775 am Hofe des Fürsten Karl Thomas zu Löwenstein (1735-1789) ein Vorspiel gegeben und dabei im „Hirschen“ zur Übernachtung logiert haben. Das Braurecht im „Hirschen“ übte 1785 Johann Philipp Portscher und 1800 Matheß Portscher aus. Das Anwesen samt Brauerei im Besitz von Josef Stehr wurde 1898 von dem Bierbrauer Josef Kirchhof erworben, der noch weitere Gasthöfe zu jener Zeit im Ort sein eigen nannte. Im Jahre 1907 erwarb Otto Schneider, der zuvor Pächter der „schönen Aussicht“ war das Gasthaus und bewirtschaftete es samt Gartenwirtschaft mit eigener Apfelweinkelterei bis zur Übernahme durch dessen Schwiegersohn Wilhelm und dessen Frau Anna Weyreter im Jahre 1931. 

Von 1940 bis 1947 war der „Hirschen“ geschlossen, da im gesamten Gebäude einschließlich der Gasträume Soldaten und andere Flüchtlingsfamilien einquartiert waren. Ab 1948 wurde das Gasthaus mit seiner idealen Lage an der Durchgangsstraße Miltenberg-Aschaffenburg wieder geöffnet. Mit dem Wirtschaftsbetrieb und der Pension ging es fortan aufwärts. Doch mit dem Bau der Umgehungsstraße B 469 oberhalb des Ortes blieben besonders die Durchgangsgäste aus, deshalb kam es 1961 auch zur Schließung des stolzen Traditionsgasthofes. Der Betrieb einer Frühstückspension wurde noch einige Jahre von der Tochter und heutigen Besitzerin Lotty Weyreter fortgeführt. Nach dem Umbau der Gasträume, war zunächst eine Kleiderfabrik, dann ein Geldinstitut, sowie eine Bausparkasse hier untergebracht. Heute wird der ehemalige „Hirschen“ als Wohnhaus genutzt und im Erdgeschoss befindet sich das Verkaufsgeschäft eines Großversandhauses. 

Foto: Das in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts erbaute repräsentative Gasthaus „Zum Hirschen“ soll einst gar Wolfgang Amadeus Mozart auf der Durchreise von Salzburg nach Frankfurt als Logie gedient haben. 
Reprofoto & Bericht: Manfred Seemann